Julia Stoscheck ist eine der wenigen Sammlerinnen, die sich auf Medienkunst spezialisiert hat. Die Julia Stoscheck Collection umfasst mittlerweile 750 Arbeiten von 200 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, zeitbasierte Medienkunst von den 60er Jahren bis heute. Seit 2007 zeigt Stoscheck diese in wechselnder Zusammensetzung in ihren Räumen in Düsseldorf, mit der Eröffnung der Dependance in der Leipziger Straße nun auch in Berlin. Die 38 Arbeiten sind allesamt Neuerwerbungen, einige sind speziell für diesen Anlass geschaffen worden. Allen gemeinsam ist, dass es sich um post-internet-art handelt.
Alle Künstler*innen sind nach 1980 geboren und gehören somit zur Generation der digital natives. Viele von Ihnen leben und arbeiten in Berlin, einer der Gründe, die für eine Dependance in der Hauptstadt sprachen. Die Schau wird in den Räumen des ehemaligen Kulturzentrums der Tschechoslowakei gezeigt. Der graue 60er Jahre Bau erforderte ein spezielles architektonisches Konzept, das so schlicht wie bestechend ausfällt. Es gibt helle und dunkle Räume. Die Unterscheidung derselben erfolgt mit Hilfe von Vorhängen, die auch den privaten Charakter der Sammlung unterstreichen sollen.
Alle gezeigten Arbeiten sind in den Jahren 2007-2016 entstanden und reflektieren auf sehr unterschiedliche Art und Weise die Möglichkeiten und Fragestellungen der gegenwärtigen digitalen Welt.
So bespielt Ian Cheng die 3x9m große Leinwand des Kinosaals des ehemaligen tschechoslowakischen Kulturzentrums der DDR. Der Raum ist entkernt, Bestuhlung und Projektoren entfernt, dennoch ist die Innenarchitektur eindeutig die eines Kinos. Gezeigt wird »Emmissary Forks at Perfection«, eine virtuell animierte Echtzeit-Simulation, wie sie auch im 3-D-Videogame-Design entsteht, Teil zwei einer fiktionalen Arbeit über Evolution und künstliche Intelligenz. Die Story entwickelt sich live, das Video bleibt ephemer. Die beabsichtigte kognitive Dissonanz stellt sich umgehend ein, führt jedoch leider auch dazu, dass kaum eine Zuschauerin die technisch eindrucksvolle Arbeit wirklich lange goutiert.
Eine Aneignung des Potenzials von Werbestrategien, von Corporate Identity und Popkultur durchzieht die Arbeiten von Britta Thie. Sie nutzt die scheinbar perfekte Ästhetik von Werbung um diese in ihren Clips zu übersteigern und damit zu persiflieren. Der US -amerikanische Künstler Josh Klein beschäftigt sich in »Forever 27« und »Forever 48« mit den Identitätskonstruktionen der amerikanischen Celebrity Industry. Gewöhnliche Schauspieler sprechen fiktive Interviewpassagen von Kurt Cobain und Whitney Houston. Mit Hilfe einer Open-Source-Software für Gesichtssubstitution werden die verstorbenen Musiker „reanimiert“. Das Ergebnis ist verstörend und grotesk. Die Arbeit versteht sich als kritisches Statement hinsichtlich des „Forever young“-Postulats der spätkapitalistischen Gesellschaft und ihrer popkulturellen Unterhaltungsindustrie.
Widerstand gegen die Körperlosigkeit und Entpersonalisierung in Zeiten der digital culture sind zwei der Leitmotive von Wu Tsang. In ihrer Zweikanal-Videoinstallation, die in zwei Spiegeln verdoppelt wird, geht es um Überwachung und Subkultur »A day in the life of Bliss«, der in Berlin gedreht wurde, zeigt einen Tag im Leben der Performerin Blis, ein Science Fiction Scenario, in der Hauptrolle die androgyne Künstlerin Boychild. Die Zuschauer sitzen inmitten der vier Projektionsflächen, mit geringer Distanz zu den Screens. Die dadurch entstehende Nähe zu den Protagonistinnen, die oft in Close Ups oder halbnahen Einstellungen zu sehen sind, bekommt mitunter etwas klaustrophobisches. Ein Moment, das auch in der Arbeit von Jon Rafman spürbar wird. »Betamale Trilogy«, eine Montage von Fetisch footage aus dem Internet, Aufnahmen von versifften Computertastaturen und Mangaporno ist auf einem Bildschirm zu sehen, der in einem Glaskasten angebracht ist. Gegenüber dem Screen befinden sich vier schmale Sitzplätze, die von je zwei Lautsprechern beschallt werden. Auch hier wird ein Gefühl von Enge evoziert, das jedoch durch die Glaswände ad absurdum geführt wird. Auch in »Jaguacuzzi« von Neïl Belouza ist das so. Der algerisch-französische Künstler schafft mit seiner Mixed-Media Installation eine immersive Situation. Während der Betrachter sich sein individuelles Videoscreening selbst zusammen stellt, wird er auf seinem Sichtplatz von einer Überwachungskamera gefilmt.
Die erzwungene Nähe zum Objekt ist in mehreren Arbeiten auffällig. Als solle es nur einen möglichen Standpunkt geben, eine Sichtachse von der die künstlerische Position zu erfassen sei. Dieses steht in Kontrast zu der Weitläufigkeit der neuen Ausstellungsräume.
Jedes Werk hat genügend Raum sich singulär zu präsentieren, keine störenden Überlappungen von Audiospuren, oder unbeabsichtigte Reflexionen. Umso augenfälliger ist dieses Fixieren des Betrachters auf einen Punkt im Raum. Vielleicht ist auch das Post-Internet-Art. Die verführerischen, scheinbar ins Unendliche reflektierenden Oberflächen, die die digitale Welt bietet, vielleicht provozieren sie diesen Reflex. Die Ausstellung ist ausgesprochen sehenswert, sie transportiert relevante künstlerische Positionen, die weit mehr sind, als die Illustration des Lebensgefühls einer neuen Generation.